Die letzten Wochen in Crestone waren vergleichsweise ruhig. Es brauchte einige Zeit, bis ich mich an den “neuen” Alltag, den Zeitplan, die Abläufe und die Aufgaben gewöhnte - und daran, auch viel alleine zu sein. Die Abgeschiedenheit und die Stille sind nicht immer leicht und außer meiner Spotify-Playlisten gibt es nur wenig Ablenkung. Mehr und mehr fällt mir auf, wie sehr der klösterliche Alltag meine Gewohnheiten hinterfragt (wie herausfordernd das manchmal ist…) und dass meine bisherigen Bezugs- oder Orientierungspunkte nicht mehr so richtig greifen. Ein klösterlicher Alltag ist - eigentlich offensichtlich - kein ganz konventioneller Alltag.

Der Traum vom langen Wochenende
Dinge, auf die ich mich sonst freue und die mich wie durch den Alltag tragen, sind hier nicht existent: Es gibt keine Vorfreude auf ein langes Wochenende, ein Kochen mit Freunden oder das schöne Café um die Ecke. Ich bemerke, dass die Trennung zwischen freier Zeit und Zeit in Tätigkeit geringer wird. Manchmal fühlt sich eine Tätigkeit wie freie Zeit an - und freie Zeit dann plötzlich wie Arbeit (weil ich noch einen Beitrag für das Zen Lab schreibe, wahrscheinlich). Und immer wieder, ohne dass ich es erwarte, sind Momente oder Zusammentreffen unerwartet erfüllend.
Im Zeitplan und der klösterlichen Struktur fühle ich mich wie getragen und aufgehoben. Morgens und abends findet Meditation statt. Der Tag ist genau eingeteilt in einzelne Abschnitte. Die Struktur bildet eine Art Behältnis, in dem alles auftreten kann. Freude, Traurigkeit, Frust, Euphorie… Die Erlebnisse und Zustände kommen und gehen so schnell, dass ich häufig am Nachmittag schon wieder vergessen habe, dass der Morgen beispielsweise herausfordernd war. Manchmal weiß ich nichtmal mehr, was genau herausfordernd war. Das Leben im Zen Zentrum beansprucht immer wieder meine volle Aufmerksamkeit und so bleibt wenig Inneres über lange Zeit bestehen. Wenn ich an einem Tag beispielsweise eine Auseinandersetzung mit einer Person habe, so kann es am folgenden Tag völlig anders sein und wir lachen zusammen.

Eine uralte, sanfte Mühle
Immer mal wieder wehrt sich mein Geist gegen die Struktur und die Abläufe, immer wieder geht es weiter und immer wieder frage ich mich, was genau mache ich hier eigentlich? Aus konventionellen Gesichtspunkten macht es nicht immer Sinn, hier zu sein. Auch Zen-Praxis fühlt sich nicht immer nach der Zen-Praxis an, die ich dachte zu kennen. Je “näher” ich Zen-Praxis komme (wenn man das überhaupt so ausdrücken kann), desto weniger habe ich das Gefühl zu wissen, was Zen überhaupt ist. Ich kann nicht einmal behaupten, dass es freudvoll ist oder etwas, das ich besonders gerne mache, wenn ich morgens um fünf zur Meditation gehe. Das Leben im Zen Zentrum erscheint mir wie eine uralte, sanfte und kompromisslose Mühle. Dennoch: Es fühlt sich richtig an, hier zu sein. Es ist befriedigend auf einer anderen Ebene.

Alle Mücken sind schon da
In den kommenden Wochen wird es lebendig in Crestone. Die Braunbären sind kürzlich aus dem Winterschlaf erwacht, die Mücken sind bereits da, und nun beginnt die Gästesaison: In den nächsten knapp drei Monaten werden wir mehrere Gruppen, die zu selbst organisierten Seminaren ins Zen Zentrum kommen, beherbergen und verpflegen. Bis zu 30 Gäste wöchentlich erwarten wir in dieser Zeit. Dazu reisen mehrere Helfende an. Unter anderem ist Salva aus Leipzig am vergangenen Freitag angekommen. Anni und Robert - ebenfalls aus Leipzig bzw. Robert lebt mittlerweile im Johanneshof - folgen Ende Juli.
Bis bald,
ganz liebe Grüße aus Crestone nach Leipzig :)
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